Johannes Nepomuk als Legende

Mit der historischen Figur des Dr. Johannes von Pomuk, dem Generalvikar des Prager Erzbischofs, sind so viele Mythen und Legenden verknüpft wie mit fast keinem anderen Heiligen. Der erste, der einen verwirrenden Mosaikstein in das Leben des Johannes Nepomuk setzte, war der Gelehrte und Diplomat Thomas Ebendorfer von Haselbach (1388-1464). Dieser stellte in seinem Buch “Die Chronik der römischen Könige“ die These auf, dass Jan von Pomuk ertränkt wurde, weil er es ablehnte, dem König den Inhalt der Beichte der Königin Sophie, dessen Beichtvater Jan gewesen sein soll, mitzuteilen. Der erzürnte König soll Jan wegen dieser Weigerung ertränken lassen haben. Der Historiker Wáclav Wladivoj Tomek (1818-1895) erstellte eine Liste aller Angehörigen des Königlichen Hofes von König Wenzel IV. und dessen Ehefrau Königin Sophie. Jan von Pomuk ist unter den Schreibern, Köchen und Geistlichen nicht aufgeführt. In der Klageschrift des Erzbischofs Johann von Jenstein gegen den König Wenzel IV., die er 1393 für den Papst verfasste, steht auch nichts darüber, dass sein Generalvikar wegen der Einhaltung des Beichtgeheimnisses gefoltert worden sei. Es erscheint sehr unwahrscheinlich, dass ein solch schwerwiegender Vorwurf verschwiegen worden wäre.

In Böhmen verbreitete der Universalgelehrte Paulus Paulirinus de Praga (1413-1471) in seiner Schrift „Spravovna“ als erster die Geschichte des Jan von Pomuk und seiner Ertränkung wegen des Schutzes des Beichtgeheimnisses. Dieser Text wurde im Jahre 1471 vollendet und ist eine Schmähschrift gegen den König Wenzel IV., die auch solche Geschichten enthält, dass der König als Kind „bei seiner Taufe ins Taufbecken pinkelte und bei seiner Krönung den Altar des Hl. Mauritius vollschiss“.

Der unwahre Grund für seinen Tod wurde auch auf einer Inschrift behauptet, die der Dekan Wenzel von Wolfenburg im Jahre 1540 auf das Gitter anbringen ließ, dass das Grabmal des Heiligen Nepomuk im St.-Veits-Dom umgibt. Dieser tschechisch-lateinische Text enthält außerdem noch weitere Irrtümer, die ebenfalls Bestandteil der Nepomukslegende geworden sind. Sein Todesjahr wurde hier auf das Jahr 1383 geändert. Ferner behauptet die Inschrift, dass Dr. Jan von Pomuk Kanoniker des St.-Veits-Dom gewesen wäre.

Auf Grund dieser Quellen hat der etwas kontroverse, aber dennoch exzellente Chronist Wenzeslaus Hagacius (Hagek) von Libotschan in seiner Chronik über die Geschichte Böhmens aus dem Jahr 1541 festgestellt, dass in der Regierungszeit von König Wenzel IV. zwei Priester ertränkt wurden, ein Johannes Nepomuk, wegen dessen Schutz des Beichtgeheimnisses der Königin und ein anderer Jan von Pomuk, wegen der Wahlbestätigung des Kladrauer Abtes im Jahre 1393.

Das wohl bekannteste Attribut des Heiligen Johannes Nepomuk sind die fünf Sterne über seinem Haupt. Dieses ist entstanden auf Grund des Buches Fama posthuma Ioannis Nepomuceni (Postmortalen Legenden des Johannes Nepomuk) aus dem Jahr 1641 von einem unbekannten Dichter, wahrscheinlich aber von Jesuiten Jiří Ferus. Das in Versform verfasst Werk beschreibt wie fünf Sterne den gefolterten Leichnam begleitete als er in der Moldau schwamm. Über das magische Licht, dass sich nach dem Tod des Nepomuks auf der Moldau erschien, erwähnt der Augustinerpater Petr Klarifikátor im Jahre 1402 in der Festschrift zu Ehren des Erzbischofes Johann von Jenstein. Die fünf Sterne wurden ab der Mitte des 17. Jahrhunderts als Attribut Nepomuks benützt.

Zu weiteren Mythen um Johannes Nepomuk trugen auch der Kanoniker des St.-Veits-Doms, Jan Ignác Dlouhoveský z Dlouhé Vsi (1638-1701) und der prominente Vertreter des böhmischen Barocks, der Jesuit Bohuslav Balbín (1621-1688) bei. Dlouhoveský erwähnte als erster im lateinischen Lebenslauf Johannes Nepomuks als Todestag den 16. Mai. Seitdem wurde der Feiertag des Heiligen Johannes Nepomuk am 16. Mai gefeiert und nicht am 20. März, an dem man seinen Leichnam in die Moldau warf. Dieses Datum hat auch Balbín übernommen und in seinem Buch über das Leben des Seligen Johannes Nepomuk aufgeführt. Das Buch erschien als Acta Sanctorum im Jahre 1680 und wurde Grundlage für Nepomuks Heiligsprechung im Jahre 1729. Die ganze katholische Welt feiert daher den Feiertag des Heiligen Johannes Nepomuk am 16. Mai. Erst im Jahre 1925 wurde der Staatliche Feiertag des Heiligen Johannes Nepomuk durch die tschechoslowakische Regierung zu einem normalen Arbeitstag degradiert.

Die Nepomukslegende von Balbín sagt auch, dass Johannes Nepomuk in der Kirche der Jungfrau Maria vor dem Teyn in Prag tätig war und als Prediger eloquenter war als Johann Militsch von Kremsier und Konrad von Waldhausen. Hier sollen die Kanoniker des St.-Veits-Doms ihn ausgesucht haben. Ferner erfährt man über die Bescheidenheit des Johannes Nepomuk, der sehr prestigeträchtige und gut dotierte Kirchenämter, die ihm der König Wenzel IV. angeboten habe, abgelehnt haben soll. Angeblich hat er die Funktion des Almosenier des königlichen Hofes nur angenommen, um gute Taten vollbringen zu können. Auch findet man bei Balbín die Information, dass Johannes Nepomuk am Vorabend seines Todes zu dem Palladium der Böhmischen Länder (Relief der Mutter Maria mit dem dreijährigen Jesus) pilgerte. Die Motive des Nepomuks als Almosenier und als Pilger zum Palladium waren bei den Künstlern anschießend sehr beliebt und wurden häufig benutzt.

Bohuslav Balbín brachte die Mythen um Johannes Nepomuk zu Perfektion. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts begann dann deren Widerlegung. Es nahm seinen Anfang mit der Klageschrift des Erzbischof Johann von Jenstein, die im Jahre 1752 vom Vatikan nach Prag gelangte. Af dieser Grundlage stellte der aufgeklärte Historiker und Gründer der kritischen Methode in der Gesichtswissenschaft, Gelasius Dobner (1719-1790) die These auf, dass es nur einen Jan von Pomuk, den erzbischöflichen Generalvikar, gab, der im Jahre 1393 wegen der Wahrung des Beichtgeheimnisses starb. Gegen Dobner verfasste ein weiter großer Mann der Zeit, Josef Dobrovský (1753-1829), eine scharfe Polemik, die die Wahrung des Briefgeheimnisses als Grund für die Folter und anschließenden Tod des Generalvikars ablehnte.

Die Diskussion nahm absurde Züge an, als im Jahre 1849 der Literat Ferdinand Břetislav Mikovec mit der Theorie kam, dass sich die Katholische Kirche den Heiligen selbst fiktiv erschaffen habe. Der Grund hierfür sei die Verdrängung des Andenkens an Jan Hus aus der kollektiven Erinnerung der tschechischen Bevölkerung. Die Rehabilitation des Heiligen Johannes Nepomuk und de gesamten tschechischen Barocks übernahm einer der größten tschechischen Historiker, Josef Pekař (1870-1937). Mit sachlichen Argumenten verteidigte er in seinem Buch „Drei Kapitel aus dem Kampf um den Hl. Johannes von Nepomuk“ (herausgegeben 1921). Die Tat Pekař ist umso mutiger, da er Johannes Nepomuk in einer Zeit verteidigte, in der hunderte von Nepomukstatuen zerstört wurden. Dieser Vandalismus wurde als Zerstörung der Symbole der Habsburger Unterdrückung, der sogenannten „dunkeln Zeit“ bezeichnet.